Das Wandgemälde in der Kirche

4. Das Wandgemälde von Frans Griesenbrock

Text: Wilfried Jousten

Im Jahre 1953 malte der Künstler Frans Griesenbrock das beeindruckende Wandgemälde im Altarraum der Kirche. Es ist ein künstlerisches und geistliches Angebot zugleich und möchte nicht nur eine theologische Botschaft­ vermitteln, sondern es hat auch gesellschafts­politische Aussagekraft.

Bei der ersten Betrachtung des Gemäldes wird die Aufmerksamkeit durch den symmetrischen Aufbau und die Führung der Diagonalen sowie durch das harmonische­ Spiel der Farben und Umrisse auf das zentrale Passionsgeschehen gelenkt.

Das Wandgemälde in der Kirche

Das Kunstwerk zeigt Christus, den Gekreuzigten, auf dem Kalvarienberg. Unter dem Kreuz stehen nach biblischem­ Zeugnis Maria und „der Jünger, den er liebte“ (Joh 19,26), in dem die Tradition den Apostel und Evange­listen Johannes sieht.

Die Darstellung des Kreuzestodes Christi zeigt die Schmerzenskomponente in beeindruckender Weise. Griesenbrock psychologisiert die Trauer, legt sie gewissermaßen ins Innere, ohne dabei aber ihre äußeren Zeichen zu vernachlässigen. Am eindrucksvollsten wird das am Gesicht des Gekreuzigten sichtbar: sein Antlitz ist vom Schmerz gezeichnet – selbst der sonst runde Nimbus ist hier gedrückt und blass. Auch die Augen der Gottes­mutter sind tränenlos, vom tiefen Leid ausgebrannt. Maria­ wird dargestellt als Frau, die tiefer in das Leiden Christi hineingenommen ist als jeder andere Mensch. Der Blick des sterbenden Christus bezeugt die besondere Sorge des Sohnes für die Mutter, die er in einem so tiefen Schmerz zurücklässt. Die Darstellung hält den Moment des „Kreuzestestaments“ fest: „Frau, siehe dein Sohn! – Siehe deine Mutter.“ (vgl. Joh 19,26-27). Jesus macht zum einen ein neues Band zwischen Mutter und Sohn deutlich­, zum anderen bedeuten die Worte, die er spricht, dass die Mutterschaft Marias sich in der Kirche und durch sie, die durch Johannes symbolisiert und dargestellt wird, neu fortsetzt.
Die „Kreuzigungsgruppe“ als solche steht vor allem aufgrund der Farbgebung und der Gestaltung in der Tradition­ der spätgotischen Malerei. Sie entspricht so der spätmittelalterlichen Auffassung und erinnert an Federzeichnungen aus Albrecht Dürers erster Schaffens­periode.
Maria weist auf eine grüne Pflanze hin, die aus dem Boden sprießt. Dies ist ein Zeichen der Hoffnung und des Lebens. Durch ihren Gehorsam und ihr Mit-Leiden ist Maria zur neuen Eva, d.h. zur Mutter der Lebendigen geworden und verschafft so den Menschen durch ihre vielfältige Fürbitte die Gaben des Heils.

Den Hintergrund der Kreuzigungsszene bildet die biblisch­ bezeugte Finsternis, die über das ganze Land hereinbrach und bei der sich die Sonne verdunkelte (vgl. Lk 23,44-45). Man erkennt ebenfalls Gebäude – die Stadt Jerusalem, in deren Tempel der Vorhang zerriss.
Das Wandgemälde ist gleichzeitig eine Darstellung des Letzten Gerichts. Mit Beredsamkeit und Unmittelbarkeit spricht es von jenem Tag, an dem alle „vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, damit jeder seinen Lohn empfängt für das Gute oder Böse, das er im irdischen Leben getan hat“ (2 Kor 5,10). Die materielle Wirklichkeit erhebt Herz und Verstand des Betrachters zum Nachdenken über die überirdische Wirklichkeit der letzten Abhängigkeit des Menschen von Gott, dem liebenden­ Schöpfer und dem gerechten Richter.

Anschaulich wird die Scheidung in Gute und Böse durch die Engel, die Christus nach biblischem Zeugnis als geistige Geschöpfe bei seiner Wiederkunft und bei seinem Gericht dienen (vgl. Mt 25,31). Der Engel, der den Guten segnend beisteht, trägt einen Palmzweig in den Händen, während ein anderer Engel den Bösen mit scharfem Schwert begegnet.

Zur Rechten des Gekreuzigten sind jene Menschen abgebildet, die Gutes getan haben. Wenn man bedenkt, dass das Gemälde noch vor dem II. Vatikanischen Konzil angefertigt wurde, wird erkennbar, dass der Künstler einiges­ vom Geiste des Konzils vorweggenommen hat. Unter den Gerechten befinden sich neben Personen der Kirchengeschichte nicht nur Heilige, sondern auch Menschen­ des alltäglichen Lebens, die versuchen, ihr Dasein nach den christlichen Werten zu gestalten. Das afrikanische Kind verweist auf den Missionsauftrag der Kirche, zu der nicht nur die Getauften gehören, sondern mit der auch jene, die das Evangelium noch nicht empfangen­ haben, auf verschiedene Weise verbunden sind.

Des Weiteren ist eine christliche Familie dargestellt als Urzelle des gesellschaftlichen Lebens. Die Mutter hält eines­ ihrer Kinder in den Armen. Der Vater, dessen blaue Kleidung an die typische Arbeitermontur erinnert, hält sich schützend über seine Familie.

Der Familie zugewandt erkennt man Papst Pius XII. (1939-1958). Die Kleidung und die Insignien des Papstes (darunter die Tiara als Sinnbild der Machtbefugnisse, die der Nachfolger des hl. Petrus in seiner Person vereinigen soll) lassen ihn in voller Würde erscheinen. Zu seinen Füßen ist eine Taube abgebildet, als Symbol des Friedens. Sie ziert ebenfalls das Wappen dieses Papstes (s.a. den Grundstein der Pfarrkirche).

Neben dem Papst steht eine junge Frau, die außer mit einem Nimbus mit einer Taube, einem Krug und mit einer Rose im Haar abgebildet ist. Es handelt sich hierbei um die hl. Lidwina von Schiedam bei Rotterdam (1380-1433). Im Alter von 15 Jahren kam sie auf dem Eis zu Fall und brach sich eine Rippe. Danach war sie 38 Jahre lang ans Krankenbett gefesselt. Aufbegehren und Mutlosigkeit wechselten einander ab, bis zu dem Augenblick, als sie ihr Leiden annahm und so vielen Menschen, die sie auf­suchten, Trost und Stärkung bieten konnte. Die hl. Lidwina­, deren Gedenktag am 14. April begangen wird, ist Patronin der Kranken und des Krankenapostolats.
Neben der Heiligen aus Schiedam ist der hl. Augustinus abgebildet. Er wurde 354 zu Tagaste geboren, nach vielen Wirrungen 387 durch Ambrosius in Mailand getauft und 395 zum Bischof von Hippo bestellt. Er wurde durch zahlreiche Schriften zum Lehrer eines christlichen Lebens, zum Verteidiger des Glaubens gegen Irrlehren und zum geistigen Führer der abendländischen Kirche. Der heilige Kirchenlehrer starb am 28. August 430. Besonders in der katholischen Gnadenlehre ist sein Denken bedeutungsvoll. Darauf weisen auch die Strahlen hin, die vom Antlitz Jesu ausgehen und die der Heilige als Quellen­ der Gnade „auffängt“.

Zur Linken des Kreuzes stehen symbolisch diejenigen, die im Endgericht nicht bestanden haben. An erster Stelle­ ist der Satan zu nennen, den Jesus den „Mörder von Anfang an“ (Joh 8,44) nennt. Er wird entstellt und widerlich anzusehen dargestellt, als halbnackte, hagere Gestalt mit Hörnern und verzerrter Fratze. Der Teufel offenbart sich als Feind des Christentums, indem er ein Kreuz zerbricht, auf dem der Leitsatz des kommunistischen Atheismus steht: „Religion ist Opium (des Volkes)“.

Um den Satan herum sind weitere Abbildungen, die von der Verderbtheit der Menschen künden. Zu seinen Füßen befindet sich ein Fabeltier. In seinen Umhang – bildlich gesprochen für: in seinen Bann – zieht er eine Schar von Menschen. Eine Frauengestalt mit einem Apfel in der Hand erinnert bildhaft an das Urereignis des Sündenfalls. Ein Blitz bezeugt den Zorn Gottes gegen den „Vater der Lüge” (Joh 8,44). Zäune und Grenzen stehen für die Beschneidung der Freiheit und Verletzung der Menschenwürde. Man erkennt eine kompakte dunkle Masse von Kämpfern mit spitzen Speeren. Dieses Heer steht für Tod, Vernichtung und Untergang. Verstärkt wird dies noch durch die Reiterfigur neben dem Teufel. Sie stellt einen kommunistischen Befehlshaber in russischer Uniform dar, zu dessen Füßen mehrere getötete Opfer liegen.

Der Kunstmaler Griesenbrock wollte eine sozio-politische Botschaft vermitteln. Das Gemälde ist als Dokument der Zeitgeschichte ein Zeugnis des sogenannten „Kalten Krieges”, in den die Welt nach dem Ende des 2. Weltkriegs geraten war und der gekennzeichnet war von militärischem Aufrüsten. Der Kommunismus hatte mit einem falsch verstandenen Ideal der Gerechtigkeit und Gleichheit wirklich bestehende Missstände zu bekämpfen versucht und ihre Abschaffung sowie die Hebung der Arbeiterklasse versprochen.

Hat das Gemälde im Chorraum der Kirche heute, nach dem Niedergang des Kommunismus noch seine Daseinsberechtigung? Diese Frage ist wohl zu bejahen. Die Botschaft vom Kreuz ist und bleibt aktuell. Ebenso die Wahrheit vom Letzten Gericht, die den Menschen zu Bekehrung und Umkehr aufruft.

In den zwei Jahrtausenden der christlichen Geschichte brachte die Kunst auf eindrucksvolle Weise das Bewusstsein der Gegenwart Gottes und den Eifer zahlreicher Bekenner des Glaubens zum Ausdruck. Griesenbrocks Wandgemälde in der Pfarrkirche erweist sich als ausgezeichnetes Dokument der verschiedenen Momente dieser großartigen Geschichte des Glaubens.
Die vielen malerischen Darstellungen des Jüngsten Gerichts – sei es beispielsweise das gewaltige Fresko Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle in Rom oder sei es das Gemälde in unserer Pfarrkirche – sind ein klarer Beweis dafür, dass die Geheimnisse des Glaubens und der überirdischen Wahrheit über den Menschen mit großer Kraft dargestellt werden können.

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