Kalender 2021

Aufbaujahre in Rocherath-Krinkelt

Unser Kalender 2021 befasst sich mit der Zeit vor rund 75 Jahren, als die Menschen nach Evakuierung und Flucht wieder nach Hause zurück­kehrten, um einen Neuanfang zu wagen. Anhand einer Auswahl aus unserem Fotoarchiv zeigen wir einige Aspekte der aufregenden Zeit des Wiederaufbaus in Rocherath-Krinkelt.


Als am 5. März 1945 mit Paul Drösch (*1913, Vòß, seit Mitte Sept. 1944 kommissarischer Bürgermeister) der nach 6 Wochen erste Zivilist die Ortschaft betrat, bot sich ihm ein Bild des Grauens: ein Geisterdorf mit viel­fachen Zerstörungen und schlammigen Straßen. Neben wenigen US-Soldaten traf er ein paar streunende, teils von Splittern verletzte Tiere an. „Aber sonst nichts, nichts. Alles tot und alles still. Schrecklich!“


Was war geschehen? Schriftliche und mündliche Zeitzeugenberichte geben Auskunft: 
Am 4. September 1944 wollten lokale Vertreter der NSDAP angesichts der näher rückenden Front die Bewohner und ihr Vieh kurzfristig evakuieren. Die meisten Menschen zögerten; schließlich schlossen sich bis zum 11. September neun Familien den Flüchtenden aus Nach­barorten an, um hinter den vermeintlich sicheren Westwall zu gelangen. Nach drei rastlosen Wochen fanden sie Aufnahme in der Gegend von Gladen­bach bei Marburg (Hessen).


Am 13. und 14. September nahmen Amerikaner die Ortschaft nach mehreren Gefechten ein; hierbei ver­brannten 2 Häuser. In den ersten Tagen verhafteten Angehörige der Armée blanche eine Handvoll ehemaliger Unterstützer des NS-Regimes. Von der in den nahen Wäldern erstarrten Front aus wurde das Gebiet regelmäßig mit Granaten beschossen. „Jeden Morgen waren Häuser beschädigt, Vieh ge­tötet und allerlei Schäden ange­richtet. Unser geliebtes Rocherath wurde immer mehr zum Kriegsschauplatz.“ Deutsche Stoßtrupps legten in den Feld­wegen Minen, die bald erste Opfer forderten.


Am 7. Oktober befahlen die Army Civil Affairs, das Dorf zu räumen: Um 14 Uhr mussten die Bewohner auf dem Schulhof sein – es sei für ein paar Tage; nur Handgepäck und eine Decke seien mitzunehmen. Es wurde einfach zu gefährlich für Zivilisten. „Es hieß, es stände ein Großangriff auf den West­wall bevor.“ Rund 55 Mann blieben zurück, um das Vieh des gesamten Dorfes zu versorgen. Gegen 17 Uhr wurden die Ladeflächen von US-Lkws bestiegen, die zur Kaserne von Malmedy fuhren. Ein Großteil der Evakuierten blieb in Malmedy, andere kamen u.a. in Stavelot, St.Vith oder Hockai unter. Vielfach wurde in der nächsten Zeit bei Landwirten „ge­hamstert“, um sich zu ernähren. Ab und zu kam Proviant aus dem Heimatort. Inzwischen hatten Soldaten die leeren Häuser besetzt und durchwühlt; laut Zeugen plünderten sie „alles, was ihnen in die Hände fiel.“


Nach 3 Wochen durften 21 Frauen und Männer nach Hause, um Kartoffeln zu ernten, in Gemeinschaftsküchen zu kochen und bei der Versorgung des Viehs zu helfen. Immer wieder schlugen Granaten ein: „Die Splitter flogen bis auf 5-6 Meter an uns heran.“ Am 27. November holte die US-Flug­abwehr eine V1-Flugbombe über Rocherath vom Himmel; sie richtete größere Zerstörungen an mehreren Häusern an. Bei deren notdürftigen Reparatur halfen auch Soldaten. Anfang Dezember durften weitere Personen heimkehren.


In der Frühe des 16. Dezember startete die deutsche Seite die Ardennen­offensive mit breitem Artilleriebeschuss. Die hierauf in den hiesigen Wäldern angreifenden Verbände stießen auf heftigen Widerstand von US-Truppen, die nur langsam zurückwichen. Am 18. und 19. Dezember fanden in Rocherath-Krinkelt erbitterte Häuserkämpfe statt. Die meisten Zivilisten versuchten, das in Teilen brennende Dorf in Richtung Wirtzfeld und Bütgenbach zu verlassen. Armee-Lkws fuhren sie nach Verviers und Malmedy. Ab dem 20. Dezember war der Ort wieder in deutscher Hand und wurde nun täglich von Elsenborn her mit Granaten beschossen.


Zwar wurde Malmedy nicht von der Offensive erreicht, doch an den Weih­nachts­tagen führten Fehlein­schätz­ungen der Alliierten zu einer mehr­fachen Bombardierung der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt. Unter den vielen Toten waren auch 7 Evakuierte aus Rocherath-Krinkelt. Derweil war St.Vith noch schlimmer betroffen und hatte die Front Stavelot erreicht. Allenthalben wurden Überlebende weiter ins Landesinnere transportiert – u.a. nach Verviers, Lüttich, Pousset, Braine-l’Alleud und Waterloo.


Am 29. Januar 1945 wurden die 18 letzten in der Heimat verbliebenen Zivilisten von 12 Feldgendarmen nach Blumenthal zwangsevakuiert, wo einer verstarb. Am 6. März gelang ihnen die Flucht durch die Frontlinie. Sie wurden verhört und über Monschau nach Verviers gefahren. Sie berichteten: „Die Deutschen haben alles fortgefahren: Vieh, Heu, Möbel, Kleider – alles, was noch im Dorf war.“


Am 31. Januar 1945, nach heftiger Artillerie-Vorbereitung, nahmen US-Truppen das Dorf endgültig ein. Einige deutsche Soldaten ließen sich gefangen nehmen, darunter zwei ausgehungerte Hiesige, die ihren Heimaturlaub zur Desertion genutzt hatten und sich seit Tagen verborgen hielten.
Die Menschen, wo auch immer sie sich aufhielten, machten sich viele Ge­danken um das Schicksal ihrer Ver­wandten: „Wo sind unsere Ange­hörigen?“ „Unsere Jungens, wie mag es ihnen an den Fronten ergehen?“ Und: „Was steht uns noch bevor?“ Im Frühjahr 1945 kehrten erste Flüchtlinge und Kriegs­teilnehmer zurück – in eine zerstörte Heimat, die nun neu aufgebaut werden musste.


Mit diesem Kalender versuchen wir, interessante Einblicke in das Schicksal der Ortschaft und die Lebensbe­ding­ungen der Bewohner in den ersten Nach­kriegsjahren zu geben. Wir wünschen eine anregende Betrachtung und Lektüre.



Der Kalender ist erhältlich bei den Mitgliedern der Geschichtsgruppe, in der Bäckerei Lambertz in Rocherath-Krinkelt und (auf Terminabsprache) im ZVS-Museum in St.Vith.